Reise durchs Bordeaux, Teil 1: Schöne Scheiße!

Schöne Scheiße 



Dieser Artikel enthält Werbung und Alkohol
    und ist daher für Leser unter 16 Jahren nicht geeignet!


Das da unten ist unsere Scheiß' sagt Rachel Hubert fröhlich und mit deutlichem Akzent und zeigt von den Zinnen des Turms von Château Peybonhomme Les Tours auf die Wiese. Ich muss lachen und sage Dung. Ja, lacht sie zurück Dung. Kuhdungscheiß. Wenn ein Tag im Côtes de Blaye, Bordeaux, auf einem zinnengekrönten Turm mit Blick auf die Gironde, so beginnt - was soll da noch schiefgehen können? Kurze Zeit später stapft unsere kleine Gruppe von Weinenthusiasten durch die von Demeter zertifizierten Weinberge von Rachel und ihrem Bruder Guillaume. Die Geschwister führen hier mit Verve in der 6. Generation die Familientradition fort, bewahren Altes und erneuern behutsam, wie die Zertifizierung zum biodynamischen Anbau. Gegründet haben ihre Vorfahren, Katharer und als Häretiker von der Inquisition verfolgt, den Ort Peybonhomme im 17. Jahrhundert. Der Name entstand durch die Kombination von Pey für den Namen des Berges und der Bezeichnung Bon Hommes, gute Menschen.  

Wir probieren Wein aus Amphoren, die in den nächsten Jahren die Holzfässer zu einem beträchtlichen Teil ersetzen werden. Der Vorteil liegt auf der Hand: Alle Vorteile des Holzes, Sauerstoffzufuhr für den Wein, perfekte Bedingungen zur Reife und doch ohne spätere Holztöne. So unaufgeregt habe ich noch keinen Winzer über Amphorenausbau reden hören. Ich schmiege mich an die Amphoren, die Terracotta ist kühl und warm zugleich, rau und - erotisch. Ich überlege, wie ein sexy geschmortes coq au vin daraus schmecken würde und grüble über einen Vertriebsweg zur Amphoren-Zweitnutzung. Vielleicht habe ich für die Uhrzeit schon zuviel getrunken und zuwenig gespuckt. 



Wie denken Menschen über Wein aus Bordeaux? Wenn ich in meinem Bekanntenkreis frage, kommen schnelle Antworten: 
Teuer.
Selten.
Kompliziert.
Schmeckt erst so richtig, wenn er ein paar Jahre alt ist.
Ich trinke eh nur Weißwein. 

Meine Weinerziehung begann ungefähr vor 12 Jahren. Meine Eltern waren keine Weintrinker, bei Adventisten ist Alkohol als böses Genussmittel verpönt und Arthur trank sein Wochenendbier mit einer Mischung aus Trotz und schlechtem Gewissen. Nachdem ich mich also über Jahre hinweg von religösen Speisevorschriften gelöst und erholt habe, fing ich an, mich um den Wein zu kümmern. Hilfestellung erhielt ich durch ein Weinforum, in dem die heutige 180°C-Blogsommeliere Susa das Moderationszepter schwang. Das tat sie mit geballtem Wissen in Kombination mit viel Humor und so traute ich mich schon als Neuling, ohne Scheu Fragen zu stellen. Aber vor allem habe ich eines gemacht: Wein getrunken. Sehr viel Wein getrunken. Denn das ist das einzige, was einem hilft, da nützt kein Buch, kein kleiner Weinführer und auch kein großer. Kein Forum und keinen Schwadronierer im Freundeskreis. Es hilft ausschließlich, selber zu trinken. Und da nehme man vom Guten und vom Schlechten, vom Billigen und vom Teuren. Wenn man sich stets nur auf das konzentriert, was andere empfehlen, entwickelt man nur schwer eine eigene Meinung und einen eigenen Geschmack. Wein verkosten, Wein trinken und genießen lernen, ist nicht schwer. Man muss ihn einfach nur trinken, der Rest kommt ganz von alleine, ich spreche aus Erfahrung. 
Vom Winde verweht im Pauillac/Bordeaux

Teuer?

Das Preissegment von guten Bordeauxweinen geht von knapp einstelligen Eurobeträgen bis hin zu schier unbezahlbar. Eine Pauschalisierung ist also nicht richtig. Richtig ist, dass hervorragende Weine oft im oberen Preissegment zu finden sind, aber es gibt auch in der Mittelklasse sehr Gutes zu bezahlbaren Preisen. Auf meiner Reise durchs Bordeaux habe ich hervorragende Weine verkostet, deren Vertriebswege in Deutschland ausschließlich über gute Supermärkte stattfinden - auch davor keine Scheu! Nicht jeder hat einen Weinladen um die Ecke oder wohnt so exponiert wie ich, die kaum aus der Tür treten kann, ohne über einen Winzer zu fallen. Franzosen sehen das sehr viel lässiger als viele deutsche Weinforisten, die beim Gedanken von Weinkauf im Supermarkt reflexartig aufheulen - in Frankreich ist der Vertriebsweg über Verbrauchermärkte völlig normal. Dazu kommt: Teuer ist nur, was außerhalb des eigenen Budgets liegt oder zumindest an dessen oberen Rand kratzt, insofern ist dieser Begriff stets subjektiv. Ich habe für mich persönlich irgendwann die Einteilung in Alltag-, Kino- und Opernweine vorgenommen. Ok, im Sommer kommen noch Terrassenweine hinzu, sie sind eine Art Unterkategorie, quasi, bei der es mir nicht um den Preis sondern nur um den Sommer und den Geschmack von Sommerweinen geht. Meine Alltagswein-Kategorie beinhaltet Weine < € 10,00, die Kinoweine kosten (mich) < € 30,00 und der Oper habe ich nach oben noch nie Grenzen gesetzt. Also prinzipielle Grenzen, monetäre Grenzen erreiche ich immer wieder. 

Selten?

Nun ja. Nein. Das Bordeaux ist das größte Weinanbaugebiet für Qualitätswein weltweit. Auf 120000 ha werden jährlich rund 6 Millionen Hektoliter Wein erzeugt. Auf Nachfrage, was mit selten gemeint war, stellte sich fast immer heraus, dass die Person einfach noch keinen Bordeaux im Glas hatte - oft aus dem Verdacht heraus, er könnte zu teuer sein. Oder zu

Kompliziert

Was heißt kompliziert in Bezug auf Wein? Diese Erklärung fällt mir schwer, ich kann auch nur vermuten... Meistens wirkt kompliziert, was man nicht versteht. Mathe, Latein, Wein trinken. Bei allem hilft, wenn jemand mit ein paar Erklärungen zur Seite steht. Lehrer oder eben Trinker^^. Trinker, nicht Säufer! Miriam war vor zwei Jahren in Alba und hat das erste Mal in ihrem Leben große Barolos getrunken. 
Nach der Führung durch den Weinkeller wartet sie dann endlich auf mich: die erste Flasche Barolo meines Lebens! Ich bin froh, dass ich vorher verstanden habe, dass dieser Wein Respekt und Kenntnis verlangt. Sonst hätte ich ihn einfach als „Schmeckt-mir-nicht“ abgetan und damit einen Frevel begangen. Nun weiß ich aber, weshalb er mir nicht schmeckt: Weil ich, die ich mich durch die in Tetrapacks gehaltenen Massentraubenweine durchprobiert habe, unwürdig bin. Chiara und Mikkel haben Nachsicht mit mir, während ich verlegen an einem Grissino knabbere.
Diese Erfahrung kann ich ebenfalls abrufen, ganz ähnlich ging es mir bei meinen ersten Gläsern "großer" Weine. So wie ich mich in manche Speisen, bzw. Lebensmittel-Geschmäcker hineingegessen habe, muss man sich in Wein hineintrinken. Und niemand hat gesagt, Weine aus dem Bordeaux wären gefällig. Oder einfach gestrickt. Man muss sie verstehen lernen. Was passiert da gerade, wenn der erste Schluck Wein einem die Wangenknochen nach innen zieht? Warum kann er modrig schmecken oder nach Wald und Pilzen. Warum schmecken manche Weine wie ein alter Ledersattel nach einem langen nassen Ritt? Weine aus dem Bordeaux erzählen viel. Von ihrem Boden, von den Jahreszeiten, von ihrem Winzer. Sie berichten von starken Regenfällen im Erntejahr, von nachlässiger Bewirtschaftung oder ausgezeichneter Pflege. Fast könnte man sie als geschwätzig bezeichnen, würden sie nicht zugleich eine solche Ruhe ausstrahlen. Manche nennen das Terroir. Man könnte es jedoch auch als das Wesen des Weines bezeichnen. Und dieses Wesen zu ergründen, ist die Aufgabe, die sich dem Weintrinker stellt. Je mehr geübt wird, desto unkomplizierter wird es. Kompliziert erscheint (mir) hingegen bis heute das System der über 50 Appelationen im Bordeaux und ihrer Vorschriften. Aber auch das kann man lernen. Bei einer Flasche Bordeauxwein geht's leichter, trust me! 

Cathy and Sandrine Héraud, die Winzerinnen von Château Saint Christoly, Medoc

Alterung

Gealterte Weine zu trinken ist ein besonderes Vergnügen. Allerdings muss man unterscheiden zwischen Alterungspotential und einer Art von Alterungszwang, die große Bordeauxweine oft voraussetzen. Nicht umsonst spricht man von Kindermord, wenn große Weine zu früh geöffnet werden und man sie so um die noch benötigte Zeit der Reifung in der Flasche beraubt. Ich habe köstlich spritzige und junge (weiße) Weine im Bordeaux getrunken und auch solche, die ihr Alterungspotential voll ausgeschöpft hatten. Müssen also Bordeauxweine grundsätzlich alt getrunken werden? Nein, nicht grundsätzlich. Aber oft sollten sie schon ein paar Jährchen auf dem Korken haben.

"Ich bin aber Weißweintrinker"

Du trinkst lieber Weißwein? Herzlich willkommen im Bordeaux! Bis 1969 wurden hier sogar mehr Weiß- als Rotweine produziert, heute immerhin in 13 von über 50 Appelationen. Ich habe mich auf meiner Reise durchs Bordeaux Hals über Kopf in die spritzigen Weißen aus Entre-deux-Mers verliebt. Sie bringen oft viel Wein für's Geld in die Flasche, sind unkompliziert [sic!] und passen vortrefflich in zwei meiner Kategorien: Kat 1 mit < € 10,00 und oft eignen sie sich auch noch hervorragend als Terrassenweine. Zum Aperitif, zu Krustentieren - himmlisch. Und dann haben wir ja noch gar nicht über die Süßweine gesprochen. Wer einmal einen großen Sauternes getrunken hat, ist für alle Zeit diesen Weinen verfallen.

Zusammengefasst

Teuer: Kann, aber muss nicht
Selten: Nein, gar nicht
Kompliziert: Vielleicht zu Beginn. Übung macht den Meister
Schmecken erst, wenn sie alt sind: Nope!
Im Bordeaux gibt's nur Rotwein: Stimmt nicht. Es gibt hervorragende Weißweine, junge und spritzige und auch sehr teure, Stichwort Sauternes!

Serviceteil

  • Viele weitere Informationen erhaltet ihr auf der Seite Vin de Bordeaux. Sie ist prallgefüllt mit Weinempfehlungen, einer Weinschule, Rezepten und mehr. 
  • Als Buch zum Einlesen in das Thema Wein im Allgemeinen mag ich fast alles von Stuart Pigott. Er schreibt verständlich und witzig, hauptsächlich über seine große Liebe Riesling, aber auch über die komplette Weinwelt. Klick*

Disclosure 

Diese Berichterstattung erfolgte im Auftrag von Vin de Bordeaux. Eine inhaltliche Vorgabe fand nicht statt. Ich bedanke mich sehr für die Einladung zur umfangreichen und ausgesprochen köstlichen Reise durch das Bordeaux und für die vertrauensvolle Zusammenarbeit. 

À suivre...

  Santé!


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Arthurs Tochter

Astrid Paul, die Autorin von Arthurs Tochter kocht., ist besessen vom Essen. Sie wacht manchmal nachts auf, weil ihr im Traum Essensdüfte durch die Nase ziehen. Dann steht sie auf und fängt an zu kochen. Oder zu schreiben. Vielleicht kocht sie auch nur, um darüber schreiben zu können, wer weiß das schon...

12 Kommentare :

  1. Was für eine schöne Einführung in die Bordeaux-Welt! Ich bin schon sehr gespannt auf die weitere Reise. So richtig traue ich mich nämlich an französischen Weine auch nicht dran aber wie du weißt, folge ich gerne deinen tips.

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  2. Sabine Karl8/19/2016

    Schöne Scheiße! Ich musste sooo lachen! Schöner Artikel, der richtig Lust auf Wein macht!

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    1. :) Den Titel hatte ich schon im Kopf, da stand ich noch auf dem Turm von Peybonhomme!

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  3. Coq au vin aus der Wein-Amphore? Ich warte ungeduldig auf das Rezept! :)

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    1. Ich verhandle noch mit den Winzern wegen des Transportes nach Rheinhessen :)

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  4. Anonym8/19/2016

    Wein einkaufen im französischen Supermarkt macht wirklich Spaß- seit Langem halte ich mich an den Rat einer Freundin solche zu wählen die eine Medaille bei einem Concours gewonnen haben- bin noch nie damit fehlgegangen, auch wenn ich mir die ganzen Lagen und Qualitäten und Namen nur sehr schlecht merken kann.

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    1. Noch ein Unterschied zu Deutschland - ich verlasse mich hier nie auf irgendwelche Medaillen, die als bunte Aufkleber auf den Flaschen prangen. Aber die Supermärkte in Frankreich machen auch im Allgemeinen oft mehr Spaß als hier in Deutschland, oder?

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  5. Was ein schöner Artikel. Nicht nur zum Wein aus dem Bordeaux, auch dazu, dass man das Wein trinken erst lernen muss. Hab ihn gleich an meine Nichte (fast 19) verlinkt, die gerade beginnt Wein zu trinken (kein Wunder, Opa und Oma sind (waren) Weintrinker, Mutter und Tante ebenso).

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    1. Das freut mich sehr! Bitte richte Deiner Nichte viele Grüße aus!

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  6. Also, der Amphorenwein, dem ich bislang begegnet bin, war wirklich sehr teuer, und zwar "nur" auf Grund der Amphore. Das waren allerdings auch dünnwandige, in Erde verbuddelte georgische Amphoren bei einem fränkischen Bio-Winzer. Ich vermute mal, das ist beim Bordeaux anders, wenn sie damit Holzfässer ersetzen wollen, sonst würd's ja das normale Publikum kaum noch zahlen ...?

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    1. So Apologeten gibt es direkt gegenüber auf der anderen Rheinseite im Rheingau auch, man denke nur an Peter Jakob Kühn, der für seinen Amphoren-Riesling geschmeidige € 45,00 aufruft.
      Die von mir verkosteten Amphorenweine auf Peybonhomme kosteten sämtlich unter € 25,00/Fl. und waren von unglaublicher Kraft und Schönheit.

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