SCHLARAFFENLAND von Stevan Paul {Rezension}

Gelesen: Schlaraffenland von Stevan Paul


Hier beginnt das Schlaraffenland!
Eintritt frei!
Kinder die Hälfte!
(Aus: Der 35. Mai von Erich Kästner)



Dass man als Kind auf dem Weg Richtung Südsee und Schlaraffenland Finger aus Frankfurter Würstchen angehext bekommen kann, habe ich leider erst später erfahren. Als zeitweiliges Adventistenkind begann meine Vorstellung vom Schlaraffenland bibelgeprägt, als von dem Land, in dem Milch und Honig fließen. 
"Israel, du sollst hören und behalten, daß du es tust, daß dir's wohl gehe und du sehr vermehrt werdest, wie der HERR, deiner Väter Gott, dir verheißen hat ein Land, darin Milch und Honig fließt." (5. Mose, 6.3)
Das Wort Schlaraffenland stammt vom mittelhochdeutschen sluraff und bedeutet soviel wie Faulenzer. Und damit ist unser aller Vorstellung vom Schlaraffenland wohl im Kern gleich – man braucht nichts tun für den eigenen Genuss, alles ist stets verfügbar und von bitte hinten anstellen ist in diesem Zusammenhang noch nie die Rede gewesen.

Bei Stevan Paul aber ist das Schlaraffenland eine Kaufhauskantine, die den betriebswirtschaftlichen Dummheiten Zwängen weichen muss. Soll das Personal doch mittags bei der Burgerkette essen oder beim Asia-Imbiß um die Ecke oder das Industriebrötchen vom Kettenbäcker. Aus der Kantine soll ein Schlaraffenland im anderen Wortsinn werden, ein Schlemmerparadies, gute Einnahmen für die Betriebsleitung, die dafür nicht mehr viel tun muss und die Kunden stellen sich einfach hinten an. An die neue Sushi-Bar oder den Kaviarstand. Aber so nicht! Nicht mit Kantinenköchin Herta Klöpke, die im Alter von 64 mit 239 Überstunden in den sofortigen Ruhestand versetzt wird! Die lässt sich im nachts im Kaufhaus einschließen und kocht noch einmal groß auf. Dabei träumt sie von der Vergangenheit, wird fast erschossen und lässt noch einmal den köstlichen Duft ihres Soljanka-Borschtsch durch das Haus säuseln...

Stevan Paul erzählt in Schlaraffenland befreiend von den Leiden eines Foodbloggers, der sich im Angesicht seines ewig weltverbessernden Nachbarns nicht mehr traut, abgepacktes Hackfleisch im Supermarkt zu kaufen. (Revolution) Das erinnert mich an meine eigenen Qualen kurz nach Feierabend mit fleischhungriger Familie daheim und mit zwei schweren Tüten bepackt nachhause kommend; in der einen die Einkäufe, in der anderen das schlechte Gewissen. Meine eigenen Argumente für meine schöne Illy iperesso, die leider nur mit Kunstoffkapseln betrieben werden kann, sind unterschiedslos, die dagegen leider auch. Seine Wodkaorgie (Dem Wodka treu die ganze Nacht) erinnert mich an meine Reisen mit Arthur; die in der Ukraine gefeierte Hochzeit meines Bruders dampfte von Trinksprüchen, treibender Musik und Wodkanebel gleichermaßen

In Stevan Pauls ersten Erzählband Monsieur, der Hummer und ich war ich bereits nach dem ersten Kapitel lachend verliebt. Heute, nach der Lektüre von Schlaraffenland, erscheinen mir der Humor und die leichte Melancholie des Monsieur wie eine Fingerübung, sind sie doch, begleitet von einem Hauch Surrealität (Dienstschluss), manchmal verbunden mit dem Wahnsinn, der in uns allen wohnt, (Von der Kunst, ein Linsengericht zu kochen) zu tragenden Pfeilern von Schlaraffenland geworden. Ich habe einen Lieblingssatz in diesem Buch, der mich beim Lesen laut lachen ließ "Wie, die Gäste wollen mich sehen? Die sollen nach Hause gehen, die Furzköppe!" (Koch Gröpke zu Kellner Adam, nach einem langen Tag in der Küche in Nachtschichten) und ein Lieblingswort, das sofort in meine Sammlung aufgenommen wurde: Barça-Kackenscheißdreck!  (Leo in Alte Schule), ich mag jedoch ebenso Stevans Beschreibung von Bratwürsten, die ihre Haut in Falten legen oder Verlegenheit, die an Mantelkrägen zupft. Diese wilde Lust am Fabulieren, am geschriebenen Wort, die spricht aus jeder Zeile seines Buches. Die Seitenzahlen sind rot gedruckt, je mehr Du liest, desto mahnender erscheinen sie. Rot ist Achtung! Das Buch ist gleich aus. Die letzte Geschichte endet auf Seite 189, und damit gefühlte 100 Seiten zu früh. Stevan Paul ist ein begnadeter Koch, (Zu jeder Geschichte im Buch gibt es ein Rezept!) aber vor allem ist er ein großartiger Erzähler! Derzeit laufen die letzten Arbeiten zu seinem nächsten Kochbuch, Deutschland vegetarisch, auf das ich mich sehr freue. Nichtsdestotrotz hoffe ich bald wieder auf Geschichten aus Küche und Leben, von der Liebe, dem Leiden und der Lust.

Schlaraffenland ist ein warmes Buch. Seine Wärme beginnt in Format und Haptik, die Größe ist bettlesefreundlich, sein Einband schmeichelnd griffig. Es sieht auf den ersten Blick aus, wie in Leinen gebunden und gerne fahre ich mit den Fingerkuppen über die in den Einband geprägten Buchstaben des Buchtitels. Vor allem aber sind seine Worte warm. Die Liebe, die Stevan zum geschriebenen Wort hat, die Liebe zu den Köchen und dem guten Essen und Trinken spricht aus jeder Zeile. Aber ganz und vor allem seine Liebe zu den Menschen

Gehet hin und kaufet dieses Buch, marschmarsch!
Ergänzung: Stevan Paul und ich tragen zwar den gleichen Nachnamen, sind aber (leider^^) nicht verwand. Wir kennen uns persönlich und ich verehre ihn und sein Werk sehr!



Nachtrag: Schlaraffenland ist auf der Longlist zur HOTLIST 2013, dem Preis bei dem Publikum und Jury die zehn besten Bücher aus unabhängigen Verlagen auszeichnen.


  Genießt euren Tag!                                                                                                                                            

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Arthurs Tochter

Astrid Paul, die Autorin von Arthurs Tochter kocht., ist besessen vom Essen. Sie wacht manchmal nachts auf, weil ihr im Traum Essensdüfte durch die Nase ziehen. Dann steht sie auf und fängt an zu kochen. Oder zu schreiben. Vielleicht kocht sie auch nur, um darüber schreiben zu können, wer weiß das schon...

6 Kommentare :

  1. au weia, Du hattest ja so Recht mit Deiner Warnung, es wird schwerfallen zu warten,bis ich das antiquarisch finde ... danke, Astrid:-)!

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  2. ich liebe es ! und mein lieblinggeschichte ist die mit adam, oder doch die mit den linsen, oder .....

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  3. Gute Schreibe. Mag ich! Hab ich beim Googlen nach deinem auf FB verratenen Satz per Leseprobe festgestellt. Ich brauch mehr von dem Stoff! :))

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  4. Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass ich mit dem M. Paul mal gerne auf dem Sofa Nüsschen knabbern würde und *Das perfekte Dinner* gucken. Na, vielleicht würde ich für dich rutschen und dabei was Platz machen ;)

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  5. Anonym7/15/2013

    Ich habs gelesen und finde es ganz einfach wunderbare, genussvolle Lektüre, die Appetit macht!
    Liebe Grüsse aus Zürich,
    Andy

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  6. Und weder Weihnachten noch Geburtstag in Sicht, um sich das Buch zu wünschen. Muss ich es doch selbst kaufen ;-) Vielen Dank für den Tipp, das klingt vielversprechend!

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Der einfacheren Lesbarkeit wegen, verwende ich in diesem Blog oft das generische Femininum. Es sind stets alle mitgemeint.